Zur Haftung wegen Beschädigung einer Fossiliensammlung

BGH, Urteil vom 21.05.1996 – VI ZR 161/95

Von einem Verstoß gegen das Sorgfaltsgebot ist auszugehen, wenn nach einem objektivierten Beurteilungsmaßstab der Handelnde in seiner konkreten Lage den drohenden rechtswidrigen Erfolg seines Verhaltens voraussehen und ihn vermeiden konnte

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 25. April 1995 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand
1
Der Kläger verlangt vom Beklagten Schadensersatz wegen der Beschädigung einer Fossiliensammlung.

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Der stark gehbehinderte Beklagte suchte am 7. September 1992 den ihm seit mehreren Jahren bekannten Kläger auf, um sich einen Computer-Drucker auszuleihen. Dieses Gerät bewahrte der Kläger in einem Kellerraum seines Hauses auf, aus dem es die Parteien heraufholen wollten. In dem Flur vor dem Kellerraum stand an einer Wand ein Tisch, auf dem der Kläger mehrere Fossilienplatten, schräg gegen die Wand gelehnt, abgestellt hatte. Eine der Schmalseiten des Tisches schloß nahezu mit der Türöffnung des Kellerraumes ab. Der Beklagte trug den Drucker in einem ca. 60 cm breiten und 50 cm hohen Karton, den er mit beiden Händen vor sich hielt, aus dem Kellerraum in den Flur. Dabei kam er mit den Fossilienplatten in Berührung und stürzte. Die Platten fielen herab und wurden beschädigt.

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Der Kläger behauptet, der Beklagte habe sich unachtsam verhalten. Er beziffert seinen Schaden auf 129.500 DM.

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Das Landgericht hat die auf Zahlung dieses Betrages gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, das allenfalls leichte Verschulden des Beklagten falle bei einer Abwägung gegenüber dem besonders leichtfertigen Verhalten des Klägers bei der Aufbewahrung seiner Fossilienplatten nicht ins Gewicht. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

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Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe
I.

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Das Berufungsgericht meint, eine Haftung des Beklagten für den Schaden des Klägers komme schon deshalb nicht in Betracht, weil es an einem Sorgfaltsverstoß, nämlich an einem mindestens fahrlässigen Verhalten des Beklagten, fehle. Zwar sei der Beklagte beim Hinausgehen aus dem Kellerraum mit den Platten in Berührung gekommen. Es sei jedoch nicht auszuschließen, daß es sich dabei nur um einen ganz leichten Kontakt mit der Tisch- oder Plattenkante, also etwa um ein Touchieren oder Verhaken, gehandelt habe. Eine solche unabsichtliche leichte Berührung sei aber nicht als Sorgfaltsverstoß zu werten. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß der Beklagte von der Sammlertätigkeit des Klägers gewußt und die auf dem Kellertisch stehenden Sammelstücke erkannt habe.

II.

7
Mit diesen Erwägungen kann eine schuldhafte Verletzung des Eigentums des Klägers durch den Beklagten nicht verneint werden.

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1. Mit Recht macht die Revision geltend, daß der vom Berufungsgericht zugrunde gelegte Geschehensablauf für ein Verschulden des Beklagten spricht.

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a) Gemäß § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt. Von einem Verstoß gegen das Sorgfaltsgebot ist auszugehen, wenn nach einem objektivierten Beurteilungsmaßstab der Handelnde in seiner konkreten Lage den drohenden rechtswidrigen Erfolg seines Verhaltens voraussehen und ihn vermeiden konnte (vgl. BGHZ 39, 281, 285/286; Senatsurteil vom 31. Mai 1994 – VI ZR 233/93VersR 1994, 996 f).

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aa) Im Streitfall steht fest, daß der Beklagte, der den Karton mit dem Computer-Drucker mit beiden Händen vor sich aus dem Kellerraum durch die Tür in den Flur trug, dort mit den auf dem Tisch abgestellten Fossilienplatten derart in Berührung gekommen ist, daß diese auf den Boden stürzten. Daß sich ein solches Geschehen ereignen könnte, war entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten nach der Lebenserfahrung vom Beklagten als naheliegende Möglichkeit (zu dieser Voraussetzung s. Senatsurteil vom 15. April 1975 – VI ZR 19/74VersR 1975, 812) vorauszusehen; Anhaltspunkte dafür, daß sich der Sturz der Platten etwa infolge unvorhersehbarer Umstände ereignet habe, sind nicht ersichtlich.

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bb) Der Beklagte hätte eine Berührung mit den Fossilienplatten auch vermeiden können. Er hatte die nahe der Tür schräg auf dem Tisch abgestellten Platten vor dem Betreten des Kellerraums wahrgenommen und sie als Sammelstücke des Klägers erkannt. Unter diesen Umständen hätte er sich bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt sagen müssen, daß er eine Berührung der Platten auf jeden Fall vermeiden mußte und daß ihn das beidhändige Tragen des Kartons aufgrund der Ausmaße von ca 60 x 50 cm beim Durchschreiten der Kellertür beeinträchtigen könnte. Schon deshalb, insbesondere aber unter zusätzlicher Berücksichtigung seiner Gehbehinderung, hätte es sich dem Beklagten aufdrängen müssen, daß ein Hinaustragen des Kartons ohne Anstoß an die Fossilienplatten keineswegs sicher war. Dies hätte den Beklagten von einem Transport des Kartons jedenfalls in der vorgenommenen Weise abhalten müssen.

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b) Daß der Beklagte, wie das Berufungsgericht meint, möglicherweise nur in einen ganz leichten Kontakt mit der Tisch- oder Plattenkante gekommen ist, steht einem Verschulden nicht entgegen. Da die Platten, wie der Beklagte wahrgenommen hatte, schräg auf dem Tisch abgestellt waren, hätte er sich sagen müssen, daß sie auch schon durch einen leichten Anstoß zu Fall gebracht werden könnten und daß deshalb ein auch nur geringer Kontakt auf jeden Fall vermieden werden mußte.

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c) Ohne Bedeutung für ein fahrlässiges Verhalten des Beklagten ist schließlich die Erwägung des Berufungsgerichts, daß die leichte Berührung mit den Platten seitens des Beklagten unabsichtlich erfolgt sei. Die Ansicht, die Berührung der Platten sei deshalb nicht als Sorgfaltsverstoß zu werten, verkennt den Begriff der Fahrlässigkeit und die Anforderungen, die an diese Schuldform zu stellen sind. Das gleiche gilt für die Erwägung des Berufungsgerichts, jemand, der sich mit Erlaubnis des Hausherrn im Keller eines Wohnhauses aufhalte, brauche sich dort nicht mit solcher Vorsicht zu bewegen, daß jedwede leichte Berührung mit den in diesen Räumen befindlichen Gegenständen ausgeschlossen sei. Es kommt vielmehr auch insoweit stets auf die konkreten Gegebenheiten des einzelnen Falles an.

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2. Etwaige Umstände, die dem Verschulden des Beklagten entgegenstehen könnten, sind vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden.

15
Das Berufungsgericht trifft keine Feststellungen zu der vom Beklagten angesprochenen Möglichkeit, daß er beim Hinaustragen des Computer-Druckers aus dem Kellerraum gestolpert und dadurch gegen die Fossilienplatten geraten sei. Aus dieser Möglichkeit, die zudem auch wegen des vom Beklagten als völlig eben und nicht schadhaft bezeichneten Fußbodens im Keller nicht ohne weiteres gegen einen Sorgfaltsverstoß des Beklagten sprechen würde, kann deshalb das Fehlen eines Verschuldens nicht hergeleitet werden. Andere dazu geeignete Umstände sind ebenfalls nicht festgestellt.

III.

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Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben und der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung, insbesondere in bezug auf das vom Beklagten geltend gemachte Mitverschulden des Klägers und auf die Schadenshöhe, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

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